Die US-Ölproduktion schwächelt, Anleger sind pessimistisch – doch die Fundamentaldaten sprechen eine andere Sprache.

Fünfzehn Jahre lang galt Schieferöl als das Symbol der amerikanischen Energie-Revolution. Millionen neuer Barrel pro Tag machten die USA zum größten Ölproduzenten der Welt – unabhängig, effizient und einflussreich. Doch die Ära des Schieferölbooms scheint sich nun ihrem Ende zu nähern. Während die Förderkurven flacher werden, bleibt die Stimmung an den Märkten düster. Viele Anleger rechnen mit einem Überangebot und fallenden Preisen. Doch was, wenn der Markt sich irrt – und gerade jetzt die Grundlage für die nächste große Öl-Hausse gelegt wird?

Vom Boom zur Bremse

Der Aufstieg des Schieferöls war spektakulär. Innerhalb von nur 15 Jahren stieg die US-Ölproduktion um rund acht Millionen Barrel pro Tag. Dieser Boom senkte Benzinpreise, stärkte die US-Wirtschaft und veränderte die globalen Energieströme.

Doch laut Brancheninsidern hat diese Wachstumsphase ihren Höhepunkt erreicht. Matthew Kaes Van’t Hof, Präsident des Schieferölkonzerns Diamondback Energy, bringt es auf den Punkt:

„Das Ölgeschäft in den USA befindet sich im Rückgang – und das wird auch die Produktion bald widerspiegeln.“

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Wenn er recht behält, steht die Ölwelt vor einem strukturellen Wandel, wie ihn der Markt seit einer Generation nicht mehr gesehen hat.

Pessimismus dominiert – trotz historisch günstiger Preise

An den Börsen herrscht derzeit Pessimismus. Viele Marktteilnehmer fürchten, dass geopolitische Unsicherheiten, die Handelspolitik der Trump-Regierung und eine Rücknahme der OPEC+-Förderkürzungen zu einem Überangebot führen könnten.

Doch der Markt hat diese Ängste längst eingepreist. Laut dem Commitment of Traders Report vom 12. August liegen die spekulativen Netto-Long-Positionen in WTI-Öl auf dem niedrigsten Niveau seit 2009. Auch Fondsanleger halten sich zurück – obwohl der S&P Exploration and Production ETF (XOP) seit 2020 über 30 % Rendite pro Jahr erzielte, ist das Kapital im Fonds kaum gewachsen.

Tatsächlich deutet vieles darauf hin, dass der Markt nicht vor Übermut, sondern vor Erschöpfung handelt – ein typisches Zeichen für eine Trendwende.

Öl ist so günstig wie selten zuvor

Ein Blick auf das Verhältnis von Gold zu Öl zeigt, wie extrem niedrig die Bewertungen aktuell sind. Mitte Oktober konnte man mit einer Unze Gold 78 Barrel Rohöl kaufen – der zweithöchste Wert seit Beginn der Aufzeichnungen. Der Durchschnitt der letzten 35 Jahre liegt dagegen bei nur 17 Barrel. Historisch folgten auf solche Extremwerte meist deutliche Preissteigerungen: Immer wenn Öl so billig war, stieg die 12-Monats-Rendite im Schnitt auf rund 30 %.

Kurz gesagt: Öl ist fundamental günstig – und solche Preisniveaus hielten selten lange.

Keine Spur von einem Überangebot

Während viele Beobachter auf ein Überangebot spekulieren, zeigen die Daten das Gegenteil: Die OECD-Ölvorräte befinden sich auf dem niedrigsten Stand seit über 20 Jahren. Statt steigender Lagerbestände schrumpfen die Reserven weiter.

Das Bild eines überversorgten Marktes passt also nicht zu den Fakten. Die aktuellen Preise spiegeln nicht eine Überfülle, sondern eine Fehleinschätzung wider – nämlich die Vorstellung, dass die Nachfrage kollabieren und das Angebot explodieren werde.

Der wahre Wendepunkt: Das Ende des US-Schieferbooms

Was sich leise, aber unaufhaltsam vollzieht, ist der strukturelle Rückgang der US-Schieferölproduktion. Nach Angaben des US-Energieministeriums (EIA) erreichte die Förderung im November 2024 mit 9,17 Mio. Barrel pro Tag ihren Höhepunkt. Seitdem flacht die Kurve ab. Neue Bohrungen liefern weniger Ertrag, die besten Felder sind weitgehend ausgebeutet.

Selbst die EIA hat ihre Prognosen inzwischen nach unten korrigiert: Der Peak wird nun nicht mehr für 2030, sondern für 2027 erwartet – mit einem Rückgang der Produktion um rund 20 % bis 2050.

Auch die Internationale Energieagentur (IEA) spricht inzwischen offen vom bevorstehenden Produktionshöhepunkt.

Im wichtigsten Fördergebiet, dem Permian Basin, sinkt die Produktivität pro Bohrmeter seit 2021 um über 15 %. Die Geologie setzt natürliche Grenzen – kein Kapital und keine Technologie können das verhindern.

Ein Blick zurück: Zwei historische Parallelen

Die Geschichte kennt zwei ähnliche Momente – beide führten zu massiven Preissteigerungen:

Die 1970er-Jahre: Als die US-Ölproduktion erstmals zurückging, stieg der Ölpreis von 1,80 US$ auf 37 US$ pro Barrel – ein 20-facher Anstieg in nur einem Jahrzehnt.

Die 2000er-Jahre: Als Nordsee und Mexikos Cantarell-Feld ihre Peaks erreichten, explodierte der Ölpreis zwischen 1998 und 2008 von 11 US$ auf 145 US$.

In beiden Fällen war der Auslöser derselbe: Ein strukturelles Ende des Förderwachstums außerhalb der OPEC – genau das, was wir jetzt wieder erleben.

Fazit: Öl – der unterschätzte Gewinner des Jahres

Während Anleger auf das Schlimmste vorbereitet sind, spricht die Realität eine andere Sprache. Die globale Nachfrage bleibt stabil – selbst die IEA erwartet Zuwächse von 700.000 Barrel pro Tag im Jahr 2025. Gleichzeitig sinkt das Angebot aus den USA, und die OPEC gewinnt wieder an Einfluss.

Der Ölpreis, inflationsbereinigt auf einem Niveau wie zuletzt in der Finanzkrise, scheint dieses Gleichgewicht noch nicht zu reflektieren. Historisch betrachtet ist das oft der Moment, in dem sich große Chancen auftun.

Kurzum: Öl könnte 2025 noch zur großen Überraschung des Jahres werden – leise, unspektakulär, aber mit erheblichem Potenzial nach oben.

 

Alexander Hirschler
Alex ist studierter Betriebswirt. Er hat sich schon sehr früh für Finanzthemen interessiert und eine große Leidenschaft für die Börse entwickelt. Daraus ist eine Berufung geworden. Seit 2016 schreibt er fundierte Aktienanalysen mit dem Ziel, Anlegern eine Hilfestellung bei ihren Investmententscheidungen zu geben. Finde Alex auf Xing