Rückblick: Das Echo der 1970er

Die heutigen Handelskonflikte, Strafzölle und fiskalischen Schieflagen wecken Erinnerungen an eine vergangene Epoche – die späten 1960er- und frühen 1970er-Jahre.

Damals war der US-Dollar im Rahmen des Bretton-Woods-Systems noch an Gold gebunden. Doch die hohen Ausgaben für den Vietnamkrieg und Lyndon B. Johnsons „Great Society“-Programme überforderten die amerikanische Zahlungsbilanz. Das Vertrauen in den Dollar schwand, Goldreserven schmolzen dahin – und 1971 zog Präsident Richard Nixon die Notbremse: Er kappte die Goldbindung und belegte Importe mit einem 10%-Zoll.

Was als Notmaßnahme begann, mündete in eine langjährige Dollar-Schwäche und einen inflationären Aufschwung der Realwerte.
Die Parallelen zu heute sind frappierend – nur dass die Dimensionen jetzt um ein Vielfaches größer sind.

Die Neuauflage der Dollar-Krise

Während Nixons Defizit noch als „gewaltig“ galt, erscheint es heute winzig:
Die USA laufen aktuell mit einem Haushaltsdefizit von rund 7 % des BIP – bei einem Schuldenstand von über 130 %. Die fiskalischen und außenwirtschaftlichen Ungleichgewichte sind nicht nur größer, sondern systemisch verankert.

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Damals absorbierte der Dollar den Druck durch eine abrupte Abwertung.
Heute, in einem global vernetzten Finanzsystem, könnte die Anpassung noch brutaler ausfallen. Die Frage ist nicht mehr ob der Dollar schwächer wird, sondern wie schnell und wie stark.

Ein mehrjähriger Dollar-Rückgang, kombiniert mit einem kreditfinanzierten KI- und Infrastrukturboom, bedeutet eines: Inflation wird kein vorübergehendes Phänomen – sie bleibt strukturell verankert.

Die neue Spaltung der Kapitalflüsse

Wir stehen an der Schwelle einer neuen Wirtschaftsordnung. Auf der einen Seite: jene, die investieren müssen – Regierungen und Großkonzerne. Auf der anderen Seite: jene, die davon profitieren – Energie-, Infrastruktur- und Rohstoffproduzenten.

KI hat einen globalen technologischen Wettlauf ausgelöst, der mit früheren Innovationszyklen kaum vergleichbar ist. Während Eisenbahn, Elektrizität oder Internet Zeit brauchten, entfaltet sich die KI-Revolution zeitgleich weltweit – und sie erfordert sofortige Kapazität: Rechenzentren, Strom, Metalle, Zement.

Das ist kein gewöhnlicher Investitionszyklus, sondern ein erzwungener Umbau der Weltwirtschaft. Jemand muss ihn finanzieren. Und jemand wird daran massiv verdienen.

Die „Glorreichen Sieben“ als neue Ausgeber

Die „Glorreichen Sieben“ – Apple, Microsoft, Alphabet, Amazon, Nvidia, Meta und Tesla – verkörpern diesen Wandel. Noch verfügen sie über Netto-Cash-Reserven von rund 70 Mrd. US$, bei Vermögenswerten von über 2,7 Bio. US$.

Doch die Ära der Liquiditätsberge geht zu Ende: Der Investitionsbedarf ist gewaltig, von neuen Fabriken bis zu KI-Superclustern. Schon heute fließen über 80 % ihres Free Cashflows in Rückkäufe und Dividenden.

Wenn nur ein Teil davon in reale Investitionen umgelenkt wird, könnten Billionen an Kapital freigesetzt werden – mit entsprechenden Folgen für Märkte und Bewertungen.

Kurzfristig mag das Druck auf Aktienpreise ausüben, langfristig jedoch begründet es die nächste Welle realwirtschaftlichen Wachstums.

Die strukturellen Gewinnerbranchen

  • Energie

Energie ist das Rückgrat des KI-Zeitalters. Erdgas bleibt kurzfristig die skalierbarste Option, während Atomkraft langfristig zurückkehrt. Kohle erlebt ein Comeback, und Solarenergie ergänzt zunehmend den US-Mix.

  • Infrastruktur

Rechenzentren treiben einen massiven Ausbau von Stromnetzen, Gasleitungen, Kühlanlagen und Betonwerken. Diese Welle ist global – und sie erstreckt sich über ein Jahrzehnt.

  • Rohstoffe

Nach Jahrzehnten der Unterinvestition herrscht struktureller Angebotsmangel. Kupfer, Nickel, Silber, Eisen, Stahl und Zement werden zur neuen Währung industrieller Stärke. Kanada und Australien rücken wieder ins Zentrum institutioneller Aufmerksamkeit.

Fiskaldominanz & das neue Inflationsregime

Donald Trump drängt auf weitere Zinssenkungen – wie einst Lyndon B. Johnson. Doch das Risiko stagflationärer Politik ist real: Eine Kombination aus hohem Defizit, Zinsunterdrückung und protektionistischen Maßnahmen erzeugt genau die Dynamik, die die Fed zu bekämpfen versucht.

Schon heute liegt das US-Defizit ohne Zinszahlungen bei etwa 4 % des BIP.
Fiskaldominanz ist keine ferne Gefahr mehr – sie ist Realität. Die Folge: strukturell höhere Inflation, schwächerer Dollar, stärkere Sachwerte.

Kanadas schlafender Riese – der Bergbau

Kanadische Pensionsfonds, deren Vermögen fast 85 % des BIP ausmachen, investieren nur rund 4 % davon im Inland. Diese chronische Kapitalabwanderung erklärt den Liquiditätsmangel im Bergbau, obwohl Kanada Heimat von 40 % aller börsennotierten Edelmetallunternehmen ist.

Doch die Trendwende zeichnet sich ab: Reindustrialisierung, geopolitische Spannungen und staatliche Anreize lenken Kapital zurück in nationale Projekte.
Das könnte eine neue Hausse für den kanadischen Bergbausektor auslösen – mit Gold- und Silberproduzenten an der Spitze.

Frühphase des neuen Rohstoff-Superzyklus

Wir stehen erst am Beginn der „Take-off“-Phase des Rohstoff-Bullenmarkts.
Institutionelle Anleger tasten sich heran, die mediale Aufmerksamkeit ist noch gering – ein klassisches Frühphasenmuster.

Viele Minenaktien handeln weiterhin, als läge der Goldpreis bei 3.000 US$, während er tatsächlich über 4.000 US$ notiert. Diese Diskrepanz bietet beträchtliches Aufwertungspotenzial.

Fazit: Die Rückkehr der Realwirtschaft

Was sich heute entfaltet, ist mehr als ein Konjunkturzyklus. Es ist die Rückkehr der materiellen Ökonomie – eine Welt, in der Energie, Metalle und Industrieanlagen wieder strategische Bedeutung haben.

Der Dollar verliert an Macht, Inflation bleibt strukturell, Kapital fließt zurück in greifbare Werte. Das ist kein Rückblick in die 1970er – es ist ihre Neuinterpretation für das KI-Zeitalter.

Wer heute in Substanz investiert, investiert nicht in das nächste Quartal – sondern in die nächste Dekade.

Miriam Kraus
Die selbstständige Finanzanalystin Miriam Kraus hat sich in den vergangenen 15 Jahren in der Branche einen Namen gemacht. Auftraggeber wie Banken und Investmentgesellschaften sind immer wieder beeindruckt von ihren akribisch recherchierten Berichten. Dabei hat sie sich weitreichende Börsenkenntnisse angeeignet, insbesondere in ihren Spezialgebieten Osteuropa-Aktien, Emerging Markets, Devisen- und Rohstoffmärkte.