Goldherz Report Ausgabe 13/2022 – Donnerstag, 31. März 2022
Liebe Leserin, lieber Leser,
“Wir schaffen das”, auch ohne Gas!
So lautet zurzeit die von mir abgeänderte Parole der westlichen Politik. Ein Zitat des Weltökonoms Milton Friedman bringt die derzeitige Situation auf den Punkt:
„Wenn Sie der Regierung die Verantwortung für die Sahara übertragen, gibt es in spätestens fünf Jahren nicht mehr genug Sand“.
Die Lage um den Krieg in der Ukraine scheint sich zumindest augenscheinlich etwas zu beruhigen. In den letzten Wochen war häufiger von Friedensverhandlungen die Rede und die russische Armee scheint aktuell ihre Primärziele auf die kleine Region Donbas fokussieren zu wollen. Für eine Entwarnung ist es noch zu früh und darum bin ich auch hinsichtlich der aktuellen Börsenstände noch skeptisch.
Wir sehen einen DAX auf einem Niveau von knapp unter 15.000 Punkten – wie vor Kriegseintritt. Der S&P 500 steht bei 4.600 Punkten sogar nahe seiner Jahres- und Allzeithochs.
Es ist verständlich, dass die Börsen hier keine Eskalation des Kriegs einpreisen wollen.
Doch ich warne vor Euphorie: Der Wirtschaftskrieg hat erst begonnen!
Russlands Gaslieferungen hängen an einem seidenen Faden.
Vor wenigen Stunden machte
Was würde die Einstellung der Gaslieferungen nach Deutschland bedeuten?
Diese Woche rief die Bundesregierung die Frühwarnstufe aus. Das heißt: Verbraucher sollten so weit wie möglich Gas einsparen. Kommt es zu Versorgungsengpässen, tritt die Notfallstufe in Kraft. Dann regelt die Bundesnetzagentur als “Bundeslastverteiler”, wer wieviel Gas bekommt.
Nun, die erste Sorge wäre, dass alle mit Gas beheizte Haushalte keine ausreichende Gasversorgung für ihre Heizung oder Warmwasser bekommen könnten. Das Risiko wird von Experten noch als eher gering eingestuft.
Nach gesetzlichen Regelungen sind einzelne Verbrauchergruppen besonders geschützt. Diese sind möglichst bis zuletzt mit Gas zu versorgen. Dazu gehören private Haushalte sowie soziale Einrichtungen wie Krankenhäuser.
Die aktuellen Pläne der Regierung sehen also vor, dass die Privathaushalte weiter bis zuletzt versorgt werden würden. So lange diese Priorität beibehalten wird, haben Haushalte erstmal wenig zu befürchten.
Die Frage ist: Wird diese Priorität vielleicht irgendwann geändert?
Das wäre der Fall, wenn die Wirtschaft wegen dem Gaslieferstopp längere Zeit abschalten müsste.
Es herrscht eine geteilte Meinung, wie groß diese Gefahr ist.
Einige führende deutschen Ökonomen – unter ihnen Rüdiger Bachmann – haben sich mit einem eher fragwürdigen Pamphlet wohl selbst keinen Gefallen getan.
Im ECONtribute Policy Brief No. 029: Was wäre, wenn…? Die wirtschaftlichen Auswirkungen eines Importstopps russischer Energie auf Deutschland, schreiben die Volkswirte:
„Wir zeigen, dass die Auswirkungen wahrscheinlich substanziell, aber handhabbar sein werden. Kurzfristig würde ein Stopp der russischen Energieimporte zu einem BIP-Rückgang zwischen 0,5 % und 3 % führen (Zum Vergleich: Der BIP-Rückgang im Jahr 2020 auf Grund der Pandemie betrug 4,5 %).”
Ihren Optimismus leiten die Wissenschaftler vor allem daraus ab, dass Gas wertmäßig nur einen kleinen Anteil am Wirtschaftsaufkommen habe und deutsche Privathaushalte nur 2% ihres Durchschnittseinkommens für Gas ausgeben.
Theoretisch mag das richtig sein, aber stimmt das Argument?
Ich bin jedenfalls sicher: Ein Gaslieferstopp hätte dramatische Auswirkungen, die für die Wirtschaft um ein vielfaches schlimmer wären als die Lockdowns während der Pandemie.
Evonik Chef: Eine Volkswirtschaft könne das “nicht überleben”
Stellen Sie sich vor, morgen würde Ihnen jemand den Wasserhahn abdrehen? Plötzlich würde das gesamte Leben im Haushalt praktisch unmöglich. Kein Kochwasser, keine WC-Spülung…
Die Auswirkungen sind also deutlich stärker, wenn plötzlich Basisgüter fehlen.
Der Vorstandsvorsitzende des Evonik-Konzerns, Christian Kullmann sagte im WDR:
„Wenn wir von der Energieversorgung abgeklemmt werden sollten, dann stehen wir hier innerhalb von wenigen Tagen still”.
Die deutsche Industrie müsste sich im Fall eines russischen Energie-Embargos “auf ein dramatisches Szenario” vorbereiten und Kullmannn betont: Eine Volkswirtschaft könne das “nicht überleben“.
Tatsächlich greift Herr Kullmann hier den wichtigen Zusammenhang der miteinander verknüpften Lieferketten auf, den ich Ihnen schon beschrieben hatte. Wenn nur wenige Produkte nicht mehr verfügbar wären, sei es eine Schraube, ein chemisches Produkt, ein kleines Bauteil, dann würde im schlimmsten Fall die gesamte Industrieproduktion zum Erliegen kommen oder sich auf überlange Lieferzeiten von mehreren Wochen einstellen müssen.
So könnte der Gaslieferstopp aussehen
Gemäß den Aussagen von Präsident Putin können Gaslieferungen künftig nur in Rubel oder der Heimatwährung eines gegenüber Russland „freundschaftlich“ orientierten Landes bezahlt werden.
Das würde zurzeit eine Zahlung in US-Dollar und Euro ausschließen.
Ein entsprechendes Gesetz soll schon morgen, am 1. April, vom russischen Parlament abgesegnet werden.
Putin machte heute noch einmal eindrücklich klar, dass er auf Rubelzahlungen aus Europa besteht:
„Niemand verkauft uns etwas umsonst, und wir werden auch nicht aus Nächstenliebe handeln – das heißt, bestehende Verträge werden gekündigt.”
Für Deutschland und die EU kommt laut eigenen Aussagen eine Zahlung für Gas in Rubel nicht in Frage, zumal es bindende privatrechtliche Verträge gibt, die in Euro geschlossen wurden. Grundsätzlich war diese Antwort also zu erwarten. Es entstanden daraus zunächst auch keine Konsequenzen und der Ball liegt nun wieder bei Russland.